Warum funktioniert Feng Shui auch bei uns im Westen?



Häufig werde ich gefragt, ob man Konzepte wie Yin und Yang oder generell Regeln des Feng Shui in unser westliches Weltbild transportieren kann. Sind solche Konzepte, die aus einer fremden Kultur stammen, auch bei uns anwendbar?

Durch einen Zufall habe ich bei einem Urlaub auf Sardinien eine klare Antwort auf dieses Dilemma gefunden.


Das Brunnenheiligtum von Santa Cristina im Westen der sardischen Insel ist eine herausragende Architektur, die viele Rätsel aufgibt. Das über 3.000 Jahre alte Heiligtum besteht aus einer steilen Treppe aus glatt geschliffenen Steinblöcken, die in die Erde getrieben wurde und einige Meter unter der Erde an einem runden Wasserbecken endet. Über dem Becken steht ein sich nach oben verjüngendes Gewölbe, das wie ein Flaschenhals geformt ist und an der Erdoberfläche in einer kreisrunden Öffnung endet. 

Wer mit dem Konzept von Yin und Yang vertraut ist, kann es hier ohne Worte am eigenen Leib erfahren. 

Steigt man die steile Treppe Schritt für Schritt nach unten, erfährt man ein Gefühl von zunehmender Enge und Dunkelheit. Dreht man sich um und sieht nach oben, scheint die Treppe in ein Portal zu münden das ins Licht und in den Himmel, also dem Yang, führt. 

Diese Empfindung ist sehr verwirrend, da man das Gefühl hat, dass sich hier die physikalischen Gesetze aufheben. Verstärkt wird dieses Gefühl durch Treppenstufen, die sich über dem Kopf befinden und die eigentliche Treppe spiegeln. Hier ist oben unten und unten ist oben.

„Wie oben, so unten;
wie innen, so außen;
wie der Geist, so der Körper“


Steht man schließlich unten am Treppenende vor dem Wasserbecken, fühlt man Kälte, Enge, Dunkelheit, Stille, das komplette Yin. Neigt man sich ein wenig über das Wasserbecken, spiegelt sich darin eine runde Öffnung, die den Raum mit dem Himmel verbindet und ins Licht führt. Selbst im tiefsten Yin gibt es die Präsenz von Yang! 

Die Öffnung ermöglicht die Verbindung von Himmel und Erde, Licht und Dunkelheit, das weibliche und männliche Prinzip. 

Ideale Landschaftsform aus China (Quelle: Feng Shui: Die Struktur der Welt von Manfred Kubny)
Ideale Landschaftsform aus China (Quelle: Feng Shui: Die Struktur der Welt von Manfred Kubny)
Draufsicht auf das Brunnenheiligtum
Draufsicht auf das Brunnenheiligtum

Das tiefgründige Wasser wird mit dem Feuer des Lichts verbunden, es ermöglicht das Werden in einem dynamischen Gleichgewicht. Der Besucher dieses magischen Ortes kann sich seiner eindeutigen Aussage nicht entziehen, denn er spricht auch ohne Worte zu uns. 

In diesem Brunnenheiligtum steht das weibliche Prinzip der Mutter Erde im Vordergrund. Die Form ähnelt äußerlich dem weiblichen Geschlecht und innen ist es ein Gefäß, ein Uterus, in dem Leben entsteht, wenn sich darin weibliches und männliches Prinzip, Mond und Sonne, befruchten. Dafür nutzten die Erbauer überraschend profunde astronomische Kenntnisse und haben die Steigung der Treppe und die Öffnung über dem Brunnen präzise an Mond und Sonne ausgerichtet: Genau zweimal im Jahr leuchten die Sonnenstrahlen tangential zu den Stufenkanten das Wasser im dunklen Brunnen aus und der Vollmond steht genau im Punkt seiner größten Erdferne über der runden Öffnung des Brunnens. Diese perfekte Ausrichtung und die technische Glanzleistung dieses Baus aus der Bronzezeit sind für die Archäologen ein Rätsel. 

Die Struktur des Heiligtums ähnelt auf erstaunlicher Weise der idealen Landschaft nach Feng Shui, so wie sie überliefert wird, ebenso wie die Ausrichtung auf der Nord-Süd-Achse. Der Bau verkörpert das Yin und Yang, das Werden und die Einheit von Himmel und Erde. Diese Konzepte findet man also nicht nur in der asiatischen Kultur sondern auch bei uns, sie sind tief in unserer Kultur verwurzelt, aber in den Jahrtausenden des Patriarchats wurden sie in den Hintergrund gedrängt.

Erst in jüngerer Zeit wurden dieses Konzept wieder neu entdeckt und  fand Eingang in die moderne Architektur. 


Die Langen Foundation von Tadao Ando
Die Langen Foundation von Tadao Ando

Der Bau der Langen Foundation in der Nähe von Neuss wurde vom Architekten Tadao Ando entworfen und setzt genau dieses Spiel von Yin und Yang in den Räumlichkeiten in Szene. Das Spiel mit Licht und Schatten greift die Gestaltungsprinzipien des Brunnenheiligtums auf. Auch hier steigt man über eine offene und lichte Treppe in die schattige Tiefe des Gebäudes. Der gesamte Bau ist von diesem Wechselspiel von Yin und Yang durchdrungen, das sich auch in dem von Peter Zumthtor entworfenen Kolumba Museum in Köln wiederfindet. Beides sind Gebäude, die eine Vielzahl von Auszeichnungen und das Interesse des Publikums, als besonders gelungene Architektur auszeichnen. Offensichtlich sind diese Konzepte tief in uns verwurzelt und weit weniger kulturell initiiert, wie wir oberflächlich erwarten würden.


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